Fotojournalist zwischen zwei Welten: Fritz Schumann auf den Spuren des unbekannten Japan
© Fritz Schumann
Fritz Schumann ist einer, der hinschaut. Und zwar dorthin, wo andere achtlos vorbeigehen. In seinem neuen Buch „Japan, wer bist du?“* taucht der Fotojournalist tief ein in ein Land voller Kontraste – zwischen Tradition und Gegenwart, Einsamkeit und Gemeinschaft, Sichtbarem und Verborgenem. Dabei geht es ihm nicht um touristische Hotspots oder klischeebehaftete Kirschblüten-Folklore. Schumann erzählt Geschichten aus einem Japan, das viele so nicht kennen – in 15 Kapiteln, 15 Orten und noch mehr Facetten.
„Das, was ich eigentlich am besten kann und am liebsten mache, ist halt Japan.“
Zwischen Sushi und Schattenseiten: Ein anderer Blick auf Japan
Fritz Schumann war 2009 das erste Mal in Japan.
Seitdem hat ihn das Land nicht mehr losgelassen. Zahlreiche Reisen, Recherchen und Projekte folgten. Dabei stand für ihn früh fest:
„Wenn du ein Land wirklich mögen möchtest, musst du auch alle Seiten sehen – nicht nur Tempel und tolles Essen.“
Genau das macht er in seinem Buch.
Er porträtiert etwa einen Mann, der als letzter Bewohner eines Bergdorfs versucht, seine Heimat zu bewahren – mit stoischer Ruhe, aber auch spürbarer Einsamkeit. Er besucht diskriminierte Minderheiten wie die Burakumin. Und er begleitet NGOs, die verfallene Häuser retten und neu beleben wollen.
Was alle Geschichten eint: Sie zeigen Japan nicht als Postkartenidyll, sondern als komplexe Gesellschaft mit Brüchen, Widersprüchen – und viel Menschlichkeit.
Themen finden, wo andere nur Oberfläche sehen
Ein besonders spannender Einblick aus dem Gespräch: Wie Fritz überhaupt auf seine Geschichten kommt.
Die kurze Antwort: durch genaues Hinsehen, Zuhören – und durch eine offene Neugier.
„Ich habe eine Tabelle mit fast 70 Themenideen. Aber entscheidend ist nicht nur, was ich finde – sondern warum mich etwas packt.“
Fritz fragt sich bei jedem möglichen Thema:
Was berührt mich persönlich?
Welche größere Geschichte erzählt dieser kleine Ort?
Und was steckt zwischen den Zeilen?
So entsteht aus einem abgelegenen Dorf – in dem ein einziger Mann ausharrt – eine Erzählung über Landflucht, Erinnerung und das Gefühl von Heimat.
Aus einer Teefarm wird ein Kapitel über Japans Verhältnis zur Natur, Landwirtschaft und Nachhaltigkeit.
Und selbst in einem stillgelegten Kraftwerk entdeckt er eine fotografische Vision.
Erzählen mit Respekt: Warum Schumann nur mit Einverständnis fotografiert
Ein zentrales Thema im Gespräch ist die Verantwortung als Fotograf:
„Ich veröffentliche keine Fotos von Menschen ohne deren Konsens. Punkt.“
Statt mit der Kamera durch die Straßen Tokios zu ziehen und wild zu knipsen, nimmt Schumann sich Zeit.
Für Gespräche, für Einordnung, für Beziehungen.
So erzählt er von einer jungen Frau, die nachts am Hafen Gitarre spielt – und erst fotografiert wurde, nachdem sie selbst das okay gab.
„Ich habe ihr das Bild gezeigt. Sie fand’s schön. Dann war’s auch für mich in Ordnung.“
Diese Haltung zieht sich durchs ganze Buch – und verleiht den Bildern ebenso wie den Texten Tiefe und Authentizität.
Japanisch sprechen heißt, Menschen erreichen
Ein Schlüssel zu all dem ist Sprache. Fritz hat sich über die Jahre fundierte Japanischkenntnisse erarbeitet – mit Kursen, Tutorsessions, Serien, Manga und schlicht täglicher Übung:
„Japanisch lernen ist eine Lebensaufgabe. Aber es lohnt sich. Weil du dann nicht außen vor bleibst.“
So kommt er an Orte, zu Menschen, in Gespräche, die sonst verschlossen bleiben. Und kann Japan nicht nur beschreiben – sondern verstehen.
Ein Buch mit Haltung – und Herz
„Japan, wer bist du?“ ist keine Sammlung alter Reportagen.
Fast alle Geschichten entstanden exklusiv für dieses Buch, mit viel Vorlauf – und trotz pandemiebedingter Verzögerungen:
„Ich habe jeden Tag geschrieben, auch wenn’s nur eine halbe Stunde war.“
Und das merkt man.
Denn jedes Kapitel erzählt nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern steht für ein größeres Thema: Landflucht, demografischer Wandel, Identität, Nachhaltigkeit, Erinnerungskultur.
Und immer wieder die Frage: Wie lebt man in einem Land, das sich stetig verändert – und wie begegnet man dem mit Würde?
Zwischen Tempel und Tokyoter Stromleitungen: Auch das Cover erzählt
Das Buchcover zeigt keine überinszenierte Geisha oder den hundertfach fotografierten Bambuswald.
Stattdessen: eine Straßenszene im Schatten – mit Pagode, Stromleitungen und Laterne. Subtil. Symbolisch. Passend.
„Mir gefallen besonders die Stromleitungen. Die zeigen, wie Japan wirklich aussieht.“
Es ist diese Liebe zum Detail, zur echten Atmosphäre, die das Buch auszeichnet.
Was du aus dem Gespräch mitnehmen kannst
Für Fotografen
Respekt vor Menschen ist wichtiger als der perfekte Shot.
Lass dir Zeit. Gute Bilder entstehen nicht im Vorbeigehen.
Geschichten findest du nicht auf der Oberfläche, sondern im Gespräch – und durch Zuhören.
Für Reisende
Sprich mit den Menschen. Auch mit Händen, Füßen oder Übersetzer-App.
Suche die Randnotizen, nicht die Schlagzeilen.
Je öfter du zurückkehrst, desto mehr verstehst du.
Für alle, die sich für Japan interessieren
Das Land ist vielschichtiger, widersprüchlicher, ehrlicher, als es Instagram vermuten lässt.
Es gibt ein Japan jenseits von Tokio, Tempeln und Technik.
Wer verstehen will, muss Fragen stellen – und manchmal schweigen können.
© Fritz Schumann
© Fritz Schumann
© Fritz Schumann
Über Fritz Schumann
Fritz Schumann ist Fotojournalist, Autor und Dokumentarfilmer aus Berlin – und einer der besten Kenner Japans im deutschsprachigen Raum.
Seine Faszination für das Land begann schon in der Jugend und führte ihn 2009 erstmals dorthin.
Überraschend gelang es ihm, als freier Auslandskorrespondent zu arbeiten – er fotografierte und schrieb zugleich, oft für deutsche Medien. Diese Verbindung von Bild und Text wurde zu seinem Markenzeichen.
Um seine Arbeit zu professionalisieren, studierte Fritz später Fotojournalismus in Hannover und verbrachte ein Austauschjahr in Hiroshima.
Seither erzählt er ungewöhnliche Geschichten aus Japan – über ein Dorf voller Puppen, ein 1300 Jahre altes Hotel oder fast vergessene Handwerkstechniken.
Sein Fokus liegt auf den Rändern des Sichtbaren: dort, wo Tradition auf Moderne trifft. Für viele Redaktionen ist er längst „der Japan-Typ“ – ein Label, dem er zunächst entkommen wollte, das er heute aber selbstbewusst mit Leben füllt.
Denn Japan ist für ihn mehr als ein Thema: Es ist ein zweites Zuhause – und eine nie versiegende Quelle für Geschichten mit Tiefe.
Weiteres Interview mit Fritz Schumann
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